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Titel
Illegaler Waffenhandel in imperialen Grenzregionen. Randfiguren im südlichen Afrika und Nordamerika im späten 19. Jahrhundert


Autor(en)
Schmitz, Yves
Reihe
Peripherien – Peripheries
Erschienen
Köln 2022: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
359 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Daniel Stahl, Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Der Waffenhandel in Kolonien und Zonen imperialer Expansion ist in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der historischen Forschung geraten. Mittlerweile liegen einige Studien vor, die analysieren, welche ökonomischen, kulturellen und politischen Bedeutungen Handfeuerwaffen in ost-, west-, und südafrikanischen sowie mittelasiatischen Gesellschaften im Zeitalter des Imperialismus zukamen, und wie der Handel mit diesen Gütern koloniale Herrschaft herausforderte.1

Mit seiner 2021 als Dissertation an der Universität Marburg eingereichten Studie fügt sich Yves Schmitz in dieses Forschungsfeld ein. Anhand des illegalen Waffenhandels zugunsten indigener Gruppen in zwei imperialen Grenzregionen – dem südlichen Afrika und der nördlichen US-amerikanischen Prärie – zeigt er überzeugend, wie der Blick auf solche Regionen „pluraler Souveränität“, in denen die imperiale Durchdringung „rudimentär und lückenhaft“ (S. 29) gewesen sei, zu einem besseren Verständnis von Prozessen imperialer Expansion im späten 19. Jahrhundert beitragen kann. Insbesondere analysiert er, wie die Durchsetzung der Kontrolle des Waffenhandels zur „Verhärtung“ und „Schließung“ von Grenzen beitrug. Darunter versteht er den Prozess, in dessen Zuge „politische Autorität durch Gewalt eine Hegemonie in der Grenzregion errichtet“ (S. 31).

Schmitz’ Studie ist als Imperienvergleich angelegt und fragt insbesondere nach Gemeinsamkeiten zwischen der nordamerikanischen Prärie und dem südlichen Afrika. Etwas ungewöhnlich, wenn auch durchaus plausibel begründet, ist die Entscheidung, den europäischen Übersee-Kolonialismus mit der kontinentalen Expansion der USA in Beziehung zu setzen. Dabei liegt der Fokus dem peripheren Ansatz folgend auf lokalen Akteuren. Eine zentrale Rolle spielen zwei indigene Gruppen, die zu den wichtigsten Käufern von Handfeuerwaffen und Munition gehörten: die Witboois, die an der Grenze zwischen Deutsch-Südwestafrika und der britischen Kapkolonie lebten, und die Northern Nations, die die Grenzregion zwischen den USA und Kanada besiedelten. Weitere Akteursgruppen sind die häufig als Händler auftretenden Angehörige verschiedener regionaler Minderheiten – wozu Schmitz nicht nur die Metis Nordamerikas, sondern auch die in den Grenzregionen der deutschen Kolonie lebenden Briten zählt –, Großunternehmen und nicht zuletzt die deutschen, kapkolonialen und US-amerikanischen Vertreter der Imperialmächte.

Die Studie ist in drei Hauptkapitel unterteilt. Das erste nimmt die Struktur und den Ablauf des Waffenhandels in beiden Grenzregionen in den Blick. Die Witboois und Northern Nations werden als „gun societies“ beschrieben, in denen Handfeuerwaffen zentrale politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutungen gehabt hätten: bei der Büffeljagd beziehungsweise beim Raub von Viehherden, als Instrumente im Kampf gegen die expandierenden Imperien und als Symbole von Macht und Männlichkeit. Ansätzen der neueren Empire-Forschung folgend fragt Schmitz dabei konsequent nach der Agency dieser Gruppen, die, wie er betont, als Käufer von Handfeuerwaffen keine „passiven Rezipienten westlicher Technologie“, sondern „aktiv, kritisch und selektiv“ gewesen seien (S. 62). Die illegalen Waffenhändler seien in hohem Maße von ihnen abhängig gewesen. Sie hätten ihr Vertrauen erwerben, ihre Sprache und Kultur erlernen müssen.

Das zweite Hauptkapitel fragt nach den Bemühungen der Imperialmächte, diesen Handel zu regulieren. Lange Zeit seien solche Bemühungen recht begrenzt geblieben. Die Aufrechterhaltung des Handels mit indigenen Gruppen und die Notwendigkeit, keine Konflikte mit ihnen zu schüren, habe im Vordergrund imperialer Abwägungen gestanden. Sowohl in der nordamerikanischen Prärie als auch im südlichen Afrika seien es Kriege gewesen, die zu schärferen Maßnahmen geführt hätten: Die deutsche Kolonialmacht und die US-Regierung erließen restriktivere Gesetze, kontrollierten die Handelsrouten verstärkt und führten gewalttätige Durchsuchungen in indigenen Camps durch, die darauf zielten, insbesondere moderne Hinterladergewehre zu konfiszieren. „Mit dieser Vorgehensweise sollte die technologische Asymmetrie, die für imperiale Herrschaft zentral war, hergestellt und zementiert werden.“ (S. 193)

Die außenpolitische Dimension, die eine solche Regulierung des Waffenhandels in Grenzregionen mit sich brachte, ist schließlich Gegenstand des letzten Hauptkapitels, das einerseits die Beziehungen zwischen Deutsch-Südwestafrika und der Kapkolonie, andererseits zwischen den USA und Kanada in den Blick nimmt. Mit Blick auf die Regulierung des Waffenhandels identifiziert Schmitz drei Beziehungsmodi: Rivalität, Neutralität und Kooperation. Mitunter sei es zwischen den unterschiedlichen Imperialmächten zur Zusammenarbeit gekommen, um striktere Kontrollen durchzusetzen; dann wieder seien Kanada und die Kapkolonie bemüht gewesen, sich in den Konflikten zwischen indigenen Gruppen und den Imperialmächten als Unbeteiligte herauszuhalten – was in der Praxis bedeutete, den Waffenhandel nicht zu stören. Im Fall Kanadas habe das nicht zuletzt an den sehr begrenzten Möglichkeiten gelegen, in imperialen Grenzregionen striktere Kontrollen durchzusetzen. Und schließlich hätten insbesondere Vertreter der Kapkolonie im Waffenhandel eine Chance gesehen, den deutschen Einfluss in der Region zurückzudrängen.

Eine der zentralen Thesen der Studie ist, dass der illegale Waffenhandel „sowohl ein stabilisierendes als auch destabilisierendes Element in der staatlichen Durchdringung der imperialen Grenzregionen“ gewesen sei (S. 291) – ein Argument, dass der Autor plausibel belegt, obwohl er es an manchen Stellen zu widerrufen scheint und stattdessen betont, der Waffenhandel sei ein „Hindernis für den Aufbau imperialer Strukturen“ gewesen (S. 299). Der Waffenhandel verschaffte indigenen Gruppen nicht nur Rüstungsgüter, um ihre politische Macht in den Grenzregionen zu behaupten und dabei die imperiale Expansion herauszufordern. Die Implementierung von Kontrollen forcierte auch den Ausbau staatlicher Strukturen.

Eine zweite These richtet sich gegen technologischen Determinismus. In der Forschung ist wiederholt die Argumentation vertreten worden, dass waffentechnische Überlegenheit ein wichtiger Faktor für die Durchsetzung imperialer Expansion gewesen sei.2 In Abgrenzung zu dieser Position argumentiert Schmitz, dass diese Überlegenheit nicht immer zu beobachten sei und der Waffenhandel indigenen Gruppen den Zugang zu gleichwertigen Rüstungsgütern verschafft habe. Allerdings tragen diese Beispiele nicht so weit, um das Überlegenheits-Argument zu widerlegen, wie Schmitz in der Einleitung ankündigt (S. 20). Imperiale Grenzregionen waren aus Sicht der Imperialmächte nun einmal peripher; nicht immer waren Regierungen bereit, die für eine waffentechnische Überlegenheit notwendigen Ressourcen dorthin zu verlegen. Entscheidend war allerdings, dass sie dazu in der Lage waren, so dies notwendig erschien. Für indigene Gruppen hingegen ging es nicht um Peripherien, sondern um ihre politischen und ökonomischen Grundlagen. Die Möglichkeit, sich Zugang zu Waffen zu verschaffen, um diese zu verteidigen, waren begrenzt – das zeigt auch die Arbeit Schmitz’.

Die Quellenlage stellt eine besondere Herausforderung dar, der sich Schmitz in seiner Studie gestellt hat. Wie analysiert man ein Tätigkeitsfeld, das darauf ausgelegt war, unsichtbar zu bleiben und möglichst wenig Spuren zu hinterlassen? Es ist insbesondere dieser schwierigen Quellenlage geschuldet, dass die Darstellung des Waffenhandels passagenweise etwas abstrakt wirkt. Umso mehr muss hervorgehoben werden, dass es Schmitz gelungen ist, trotz aller Schwierigkeiten in afrikanischen, europäischen und nordamerikanischen Archiven Quellen ausfindig gemacht zu haben, die umfassende Einblicke in das illegale Geschäft mit Waffen ermöglichen. Sich dem Thema trotz dieser Widrigkeiten gestellt zu haben und eine gut lesbare und weitgehend überzeugend argumentierende Studie vorgelegt zu haben, ist ihm hoch anzurechnen.

Anmerkungen:
1 Sokhna Sané, Le contrôle des armes à feu en Afrique occidentale française (1834–1958), Paris 2008; Emrys Chew, Arming the Periphery. The Arms Trade in the Indian Ocean during the Age of Global Empire, Basingstoke 2012; Felix Brahm, Merchandise of Power. Der Waffenhandel zwischen Europa und Ostafrika (1850–1919), Frankfurt am Main 2022; Arms Regimes across the Empires. Special Issue, Journal of Modern European History 19,4 (2021).
2 Daniel R. Haedrick, The Tools of Empire. Technology and European Imperialism in the Nineteenth Century, New York 1981; Geoffrey Parker, The Military Revolution. Military Innovation and the Rise of the West, 1500–1800, 2. Aufl., Cambridge 1996 (1. Aufl. 1988); Philip T. Hoffman, Why did Europe Conquer the World?, Princeton 2015.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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